Getäuscht, getürkt, getrickst – die angebliche Euro-Rettung
Michael Brückner
Die Euro-Zone versinkt immer tiefer im Schuldensumpf. Doch Regierungen und Mainstreammedien jubeln und feiern das angebliche Ende der Euro-Krise. Wenn es sein muss, gern auch mit getürkten Zahlen. Doch zum Jubeln gibt es keinen Anlass – am allerwenigsten für Deutschland.
Wenige Wochen vor den Europawahlen wird wieder gelogen, dass sich die Balken biegen. Plötzlich ist der Euro-Schuldenkönig Griechenland fast schon »Everybody’s Darling«. Ebenso wie Portugal habe Griechenland problemlos neue Staatsanleihen am Markt platzieren können, freuten sich die Mainstreammedien. Anleger hätten sich um diese Papiere regelrecht gerissen, wurde
kolportiert. Und die Regierung in Athen berichtete von einem »Primärüberschuss im Haushalt«. Irland hat den Rettungsschirm bereits verlassen, die Serie von Hiobsbotschaften aus Spanien ist ebenfalls abgerissen.
Wer redet eigentlich noch von Zypern? Deutschland wiederum, so die offizielle Propaganda, geht es angeblich besser denn je. Die Euro-Retter haben scheinbar ganze Arbeit geleistet. Wer wird da noch auf den verwegenen Gedanken kommen, eine europakritische Partei zu wählen?
Doch das Kalkül von Regierungen, Eurokraten und den ihnen nahestehenden Medien scheint nicht aufzugehen. Rund 81 Prozent der Deutschen sind davon überzeugt, dass die Euro-Krise längst noch nicht ausgestanden ist, ergab eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa. Und zwei Drittel der Bundesbürger blicken sorgenvoll Richtung Griechenland.
Gründe für diese offenkundige Skepsis gibt es zuhauf. Dass Griechenland und Portugal Staatsanleihen platzieren konnten, bedeutet zunächst einmal nur eines: Beide Länder haben erneut Schulden gemacht. Und »aus den Händen gerissen« wurden ihnen diese Papiere nicht etwa, weil die Anleger den Emittenten trauen. Sie setzen vielmehr auf die impliziten Garantien der Europäischen Zentralbank. Griechenland pleite, Portugal zahlungsunfähig? Kein Problem, dann springt die EZB ein. Normalerweise spiegelt die Höhe der Zinsen das Risiko wider, das ein Investor eingeht. Bei hohen Risiken erhält man eine »Zitterprämie«, sprich: einen Zinszuschlag. Die Käufer von griechischen oder portugiesischen Staatsanleihen sahnen hingegen vergleichsweise hohe Renditen ab, ohne aber tatsächlich überdurchschnittliche Risiken einzugehen. Denn im Ernstfall steht die EZB bereit.
Auch die vermeintlichen Erfolgsmeldungen aus Athen erweisen sich bei näherem Hinschauen als allzu durchsichtiges Manöver. Im vergangenen Jahr habe das Land einen »Primärüberschuss im Haushalt« erwirtschaftet, wird verkündet. Und die europäische Statistikbehörde nickt dies ab. Tatsächlich aber wird wieder einmal getrickst und getürkt. Denn der angebliche Überschuss kommt nur zustande, wenn man die hohen Zinskosten und die Kapitalspritzen an notleidende Banken herausrechnet. Das ist etwa vergleichbar mit einem privaten Schuldner, der sich beim Kauf einer Immobilie übernimmt und anschließend erklärt: »Wenn die Zinsen nicht wären, würde ich mit meinem Geld auskommen.« Das spräche für Chuzpe, aber nicht für Bonität.
Was will Athen mit diesen fragwürdigen Zahlen erreichen? Geht es nur um die anstehenden Europawahlen? Sicher spielt auch dies eine Rolle, vor allem aber spekuliert Athen auf niedrigere Zinsen und längere Zahlungsfristen. Das käme einem weiteren indirekten Schuldenerlass gleich. Dem Vernehmen nach soll dieses Thema bereits bei der nächsten Sitzung der Euro-Gruppe Anfang Mai diskutiert werden. Angeblich haben die Euro-Staaten Griechenland solche Erleichterungen in Aussicht gestellt, sobald der Pleitestaat wieder einen Primärüberschuss erzielt. Wurde also erneut getrickst und getäuscht, um Zinsnachlässe und längere Zahlungsfristen durchsetzen zu können?
Die Jubelmeldungen aus Athen waren dann aber offenkundig selbst der EU-Kommission nicht ganz geheuer. Ende April jedenfalls teilte Brüssel mit, Griechenland werde seine Gesamtschulden viel schwerer und langsamer los als bisher angenommen. Im vergangenen Jahr machte Athen über 23 Milliarden Euro neue Schulden. Die Gesamtverschuldung stieg dadurch auf atemberaubende 171,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP).
Griechenland braucht wohl noch viele Jahre Hilfen von der EZB und anderen Euro-Ländern, vor allem Deutschland. Ansonsten wäre das Land in kurzer Zeit bankrott. Mindestens bis zum Jahr 2025 dürfte Griechenland seinen Partnern auf der Tasche liegen, schätzen Ökonomen.
Aber auch in der gesamten Euro-Zone kann von Entspannung keine Rede sein. Die Verschuldung aller Euro-Länder stieg 2013 erneut auf 92,6 Prozent des BIP. Gleichzeitig wird die soziale Lage immer explosiver: Derzeit sind mehr als 26 Millionen Europäer ohne Jobs. Tendenz: steigend. Zudem driften die Euro-Staaten immer weiter auseinander. Während Länder wie Deutschland und Österreich trotz aller Probleme wirtschaftlich erfolgreich sind, droht anderswo das Chaos. Von vergleichbaren ökonomischen Verhältnissen – eigentlich eine Grundvoraussetzung für eine gemeinsame Währung – ist die Euro-Zone so weit entfernt wie nie zuvor.
Neben dem Dauerpatienten Griechenland ist Frankreich das Sorgenkind Nummer eins in der EU. Die Verschuldung des Landes scheint außer Kontrolle zu sein. Wenn Staatspräsident François Hollande im Jahr 2017 von den Wählern aufs politische Abstellgleis geschoben wird, könnten die französischen Staatsschulden bei über 100 Prozent des BIP liegen (aktuell 94,2 Prozent), schätzt Ulrich Hege, Professor an der Wirtschaftshochschule HECParis. Einstmals namhafte Unternehmen wie Peugeot können nur mit chinesischer Hilfe überleben. Gleichzeitig leistet sich Frankreich einen der aufgeblähtesten Staatsapparate in Europa. Auf 1000 Einwohner kommen 90 Beamte (in Deutschland 60). Die Ausgaben des Staates belaufen sich auf knapp 57 Prozent der Wirtschaftsleistung.
In Italien stellt sich die Situation kaum besser dar. Alle vier Wochen werde er eine Reform durchsetzen, hatte der neue Ministerpräsident Matteo Renzi großmäulig versprochen. Bislang blieb es weitgehend bei Ankündigungen. Finanzminister Pier Carlo Padoan ließ schon mal kleinlaut durchblicken, die Schuldenquote seines Landes werde in diesem Jahr auf 135 Prozent des BIP nach oben springen. Im vergangenen Jahr lag der Wert noch bei 132 Prozent.
Allerdings haben Matteo Renzi und der neue französische Premier Manuel Valls scheinbar schon eine Lösung für ihr Schuldendebakel ausgemacht: Die Europäische Zentralbank soll ran und die geldpolitischen Schleusen noch weiter öffnen. Valls warf der EZB unlängst vor, ihre Geldpolitik sei »nicht expansiv« genug. Druck machen auch die Vertreter der Südstaaten in der EZB. Das gemeinsame Ziel: die Schuldenpolitik mit der Notenpresse zu finanzieren.
Das sind denkbar schlechte Nachrichten für deutsche und österreichische Sparer und Steuerzahler. Kein Wunder also, dass die Bürger mit beinahe täglich neuen Jubelmeldungen bei Laune gehalten werden sollen.