Desinformation in den westlichen Mainstreammedien
Neil Clark
Ich bin verwirrt. Vor einigen Wochen wurde uns im Westen erklärt, dass es sehr gut sei, wenn das Volk in der Ukraine Regierungsgebäude besetzt. Unsere politische Führung und elitäre Kommentatoren erklärten uns, dass es sich bei diesen Menschen um »Pro-Demokratie-Demonstranten« handele. Wehe, ihr geht mit Gewalt gegen diese »Pro-Demokratie-Demonstranten« vor, warnte die US-Regierung die ukrainischen Behörden – selbst dann nicht, wenn, wie auf Bildern zu sehen war, einige dieser Demonstranten Neonazis waren, die die Polizei mit Molotowcocktails und anderen Dingen bewarfen, die Statuen zerschlugen und Gebäude anzündeten.
Inzwischen sind einige Wochen vergangen und nun heißt es, die Leute, die in der Ukraine Regierungsgebäude besetzen, seien keine »Pro-Demokratie-Demonstranten«, sondern »Terroristen« und »gewaltbereite Elemente«. Im Januar war es noch gut, Regierungsgebäude in der Ukraine zu besetzen, aber im April ist es eine böse Sache? Im Januar stand es völlig außer Frage, gewaltsam gegen Demonstranten vorzugehen, aber jetzt ist es in Ordnung? Ich wiederhole mich: Ich bin verwirrt. Kann mich jemand erleuchten?
Im Winter besuchten mehrere prominente westliche Politiker die regierungskritischen Demonstranten in der Ukraine, darunter US-Senator John McCain. Victoria Nuland vom US-Außenministerium verteilte Kekse. Doch in vielen westeuropäischen Ländern gab es in den vergangenen Wochen massive Demonstrationen gegen die Regierung, da war von einer derartigen Unterstützung nichts zu sehen, weder von Politikern noch von elitären westlichen Kommentatoren. Und Kekse haben Vertreter des amerikanischen Außenministeriums schon gar nicht verteilt.
Wenn sie regierungskritische Proteste in den Straßen Europas so toll finden und sie für die wahrhaftigste Form von »Demokratie« halten, müssten McCain und Nuland doch auch ihre Solidarität mit den Menschen bekunden, die in Madrid, Rom, Athen und Paris auf die Straßen gehen? Ich bin verwirrt. Kann mich jemand erleuchten?
Vor einigen Wochen habe ich ein Interview mit dem amerikanischen Außenminister John Kerry gesehen. Er sagte: »Man fällt nicht einfach unter irgendwelchen fadenscheinigen Vorwänden in ein Land ein, nur weil man seine Interessen wahren will.« Ich kann mich erinnern, dass die USA genau das mehr als nur einmal während der vergangenen 20 Jahre getan haben.
Da war doch was mit »Irak hat Massenvernichtungswaffen«, oder? Habe ich das 2002 und 2003 nur geträumt, dass jeden Tag Politiker und neokonservative Experten im Fernsehen auftraten und erklärten, wir müssten gegen den Irak in den Krieg ziehen, weil Saddams Arsenal an tödlichen Waffen so bedrohlich ist? Warum ist es schlimmer, dass die Krim demokratisch über die Rückkehr zu Russland abstimmt, als brutal und mörderisch im Irak einzufallen – eine Invasion, der bis zu eine Million Menschen zum Opfer gefallen ist? Ich bin verwirrt. Kann mich jemand erleuchten?
Sehr ernst dreinschauende westliche Politiker und Medien»experten« haben uns erklärt, dass die Volksabstimmung auf der Krim nicht gültig sei, weil sie unter »militärischer Okkupation« stattfand. Aber ich habe doch gerade Berichte von den Wahlen in Afghanistan gesehen. Dort wurde unter militärischer Okkupation gewählt und der Wahlgang wurde im Westen, etwa von NATO-Chef Anders Fogh Rasmussen, als »historischer Moment für Afghanistan« und als großer Erfolg für die »Demokratie« bejubelt. Warum werden die Wahlen auf der Krim abgetan, aber die in Afghanistan gefeiert? Ich bin verwirrt. Kann mich jemand erleuchten?
Auch der Fall Syrien ist ziemlich verwirrend. Da heißt es, radikale islamistische Terrorgruppen seien die größte Bedrohung für Frieden, Sicherheit und unseren »Way of Life« hier im Westen. Al-Qaida und andere solche Gruppen müssten zerstört werden, wir müssten erbarmungslos »Krieg gegen den Terror« führen, heißt es. Aber in Syrien machen unsere Anführer gemeinsame Sache mit diesen radikalen Gruppen, die eine säkulare Regierung bekriegen, die die Rechte religiöser Minderheiten – darunter auch Christen – respektiert.
Wenn al-Qaida und ihre Verbündeten in Syrien Bomben zünden und Unschuldige ums Leben kommen, wird das von unseren Anführern nicht verurteilt. Die verurteilen nur die säkulare syrische Regierung, die radikale Islamisten bekämpft und die, geht es nach unseren Anführern und elitären Kommentatoren, unbedingt gestürzt werden muss. Ich bin verwirrt. Kann mich jemand erleuchten?
Dann noch das Thema Schwulenrechte. Russland ist böse und sehr rückständig, sagt man uns, denn es hat per Gesetz verboten, bei Jugendlichen Homosexualität zu bewerben. Wegen dieses Gesetzes haben unsere Anführer die Winter-Olympiade in Sotschi boykottiert. Aber in die Golf-Staaten reisen sie trotzdem – in Länder, wo Homosexuelle ins Gefängnis geworfen oder sogar hingerichtet werden. Die dortigen Herrscher werden herzlich begrüßt, das Thema Schwulenrechte kommt nicht zur Sprache.
Wenn Homosexuelle ins Gefängnis kommen oder hingerichtet werden, ist das doch viel schlimmer als ein Gesetz, das es untersagt, sich in Anwesenheit Minderjähriger positiv über Homosexualität zu äußern, oder? Wenn ihnen Schwulenrechte wirklich am Herzen liegen, warum gehen unsere Anführer dann auf Russland los, aber nicht auf Länder, die Schwule hinter Gitter werfen oder hinrichten? Ich bin verwirrt. Kann mich jemand erleuchten?
In zahllosen Nachrichtenartikeln heißt es, Ungarns ultranationalistische Partei Jobbik sei böse. Ihre wachsende Beliebtheit gebe Anlass zur Sorge, selbst wenn die Partei nicht an der Regierung ist und es wohl auch nie sein wird. Aber Neonazis und Ultranationalisten sind in der neuen Regierung der Ukraine vertreten, einer Regierung, die unsere Führer im Westen begeistert unterstützen. Rechtsextreme spielten eine zentrale Rolle, als im Februar die demokratisch gewählte Regierung der Ukraine gestürzt wurde, eine »Revolution«, die im Westen bejubelt wurde. Ultranationalisten und Rechtsextreme sind in Ungarn also inakzeptabel, aber sehr willkommen in der Ukraine? Ich bin verwirrt. Kann mich jemand erleuchten?
Russland ist eine aggressive, imperialistische Macht, sagt man uns, und dass es der NATO darum gehe, der »Bedrohung« durch Russland entgegenzutreten. Aber neulich habe ich mir mal eine Landkarte angesehen. Dort sehe ich viele Länder in der Nachbarschaft von Russland oder mit unmittelbaren Grenzen zu Russland, die Mitglieder der NATO sind – des von den USA angeführten Militärbündnisses also, das in den vergangenen 15 Jahren zahlreiche Länder angegriffen und bombardiert hat.
Nicht sehen dagegen konnte ich Länder in der Nähe Amerikas, die Teil eines russischen Militärbündnisses sind. Auch russische Militärstützpunkte in der Nähe der USA oder russische Raketen in US-Nachbarstaaten habe ich vergeblich gesucht. Aber trotzdem sind die Russen »die Aggressiven«, ja? Ich bin verwirrt. Kann mich jemand erleuchten?